G E S E L L S C H A F T
Feature
Leere Meere, leere Mägen
«Sie fischen uns alles weg
– auch unsere Zukunft»
Jerome lebt in Shama, einem Dorf in Ghana, das sich mit Fischfang über Wasser hält. «Lange wird das nicht mehr so bleiben. Sie fischen uns alles weg – auch unsere Zukunft.» Mit «sie» meint Jerome Industriefrachter aus dem Ausland: Ihre Netze sind wie Ungeheuer, deren Maul bis zum Meeresgrund reicht und alles schluckt, was ihnen begegnet. Das Ökosystem wird zerstört, Beute und Gewinne fließen ins Ausland. Gegen die Flotten mit hochentwickelter Fangtechnologie sind die bananenförmigen Holzkanus der Einheimischen konkurrenzlos. Die Unternehmen kommen auch aus Europa, da eigene Gewässer überfischt sind – zum Teil werden sie von der Europäischen Union subventioniert. Ghana, einst bekannt als eines der fischreichsten Länder Westafrikas, importiert mittlerweile eiweißreiche Nahrung aus dem Ausland. Ein Streifzug entlang der ghanaischen Küste auf der Suche nach Hoffnung – denn Fischer wie Jerome und ihre Familien bangen um ihre Existenz.




Foto: Fabian Melber
Reportage
Partner auf Zeit
«Zum ersten Mal im Leben habe ich das Gefühl, so angenommen zu werden, wie ich bin: da ist kein Rollstuhl, da ist keine Einschränkung.»
Christine erlebt die Welt im Rollstuhl seit sie denken kann. Einmal im Monat bekommt die 53-Jährige Besuch von Thomas. Der Sexualbegleiter schläft mit ihr. Doch bei den Begegnungen geht es nicht nur um körperliche Nähe: In den Armen von Thomas fühlt sich Christine vollwertig – als Frau und als Mensch. Sie entdeckt ihren Körper neu, schöpft Lebensfreude und Kraft: «Zum ersten Mal im Leben habe ich das Gefühl, so angenommen zu werden, wie ich bin: da ist kein Rollstuhl, da ist keine Einschränkung.» Eine Geschichte über Nähe, Vertrauen und eine Dienstleistung, die offenbar noch immer als verpönt gilt, obwohl sie Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.



Foto: Akira Hojo / Unsplash
Hintergrund
«Du sollst nicht ... abschieben»
Seit Jahren wird über das Kirchenasyl gestritten. Doch nur in Bayern landen Geistliche auf der Anklagebank.
Noch eine Woche bis zum Prozess. Anwalt Franz Bethäuser sitzt in seinem Büro. Dort hat alles seine Ordnung: Im Regal reihen sich juristische Fachzeitschriften, gesammelt und gebunden seit 1978. Zwei Designerschränke sind alphabetisch mit Akten gefüllt. Bethäuser zieht eine Mappe heraus. «Urteil» steht auf der ersten Seite. Es folgen 21 Seiten, auf denen man die Geschichte des Angeklagten, Bruder Abraham Sauer, lesen kann. Der Benediktinermönch nahm einen im Gazastreifen geborenen Flüchtling in die Abtei Münsterschwarzach auf – und landete dafür auf der Anklagebank. Er ist nicht der einzige Geistliche in Bayern. Was steckt dahinter?
Analyse
Unbequem?
Über die strategische Rivalität zwischen USA und China im Südchinesischen Meer – und Deutschlands Rolle.
Es ist eine unbequeme Position, in der sich Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel befindet: Die sich verändernde globale Ordnung bringt die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China in ein Sicherheitsdilemma, da beide Großmächte um die geostrategische Vormachtstellung im asiatisch-pazifischen Raum konkurrieren. Das Südchinesische Meer ist zum Hauptschauplatz der angespannten sino-amerikanischen Beziehungen geworden. Ist Berlin «zu sanft» gegenüber Chinas Expansionspolitik? Über süß-saure Beziehungen.


Foto: Özgür Çankaya / Unsplash
Feature
Seelenmord an Kindern
«Geschändet und liegen gelassen wie Müll»: Missbrauch in der Kirche
Nach dem Einschlafen weckte er ihn. «Nackt unter dem Gewand», erzählt ein Betroffener. «Alle möglichen Sexspiele» habe der Priester mit ihm gemacht – «über Jahre hinweg». Er schließt die Augen. Die Gemeinde hält inne. Es scheint, als sei in der Stille der Schmerz des Kindes zu hören. Eine Frau greift nach einem Taschentuch – sie wird an diesem Sonntag nicht die einzige bleiben. Menschen, die nie wieder eine Kirche betreten wollten, haben sich genau dort zum Austausch getroffen. Was das mit ihnen macht.

Feature
«Willst du meine neue Mama sein?»
Über eine Generation, deren Zukunft durch den Krieg in Syrien geraubt wird.
Unbeholfen steht das syrische Mädchen am Eingang des Flüchtlingszelts. Die Hände spielen an einem ihrer beiden Zöpfe. Vorsichtig tapst sie herein, scheint verwirrt von dem Trubel. Das staubige Zelt in der libanesischen Bekaa-Ebene ist voller Menschen. Links stehen drei Plastiktische, dahinter je ein Arzt, rechts verteilen zwei Pharmazeutinnen Medikamente. Ich gehe auf das Mädchen zu, frage nach ihrem Namen und ob sie auf ihre Mutter warte. Sie heiße Elisa, ist fünf Jahre alt und ihre Mutter sei tot. Es war taktlos ein Kriegskind nach ihren Eltern zu fragen. Denn Schicksale wie das von Elisa sind durch den Krieg in Syrien zum Alltag geworden.




Foto: Dominik Pfau
Portrait
Echte Männer kriegen keine kalten Füße
«Es sind nicht unsere Beine, die uns bewegen, es ist unser Denken.»
Sein Leben sollte sich nicht mehr nur um seine Krankheit drehen. Daher fasst Maximilian Schwarzhuber einen Entschluss, den er nie wieder rückgängig machen kann: Mit 24 Jahren lässt er sich freiwillig beide Unterschenkel amputieren. «Nach der Amputation wusste ich, es gibt nur noch eine Richtung – und die ist vorwärts», sagt er heute. Vier Tage nach der Operation beginnt Schwarzhuber zu trainieren: Er lernt gehen, rennt nach 136 Tagen seinen ersten Zehnkilometerlauf, danach einen Halbmarathon, einen Triathlon, den ersten Marathon. Als Redner und Coach für mentale Stärke steht der gelernte Informatiker regelmäßig auf der Bühne, die Prothesen unter der kurzen Lederhose gut sichtbar. Sein nächstes Vorhaben: auf dem Rennrad quer durch Deutschland, von Flensburg nach Oberstdorf – in 48 Stunden.

Multimedia
«Hiergeblieben!»
Eines der ärmsten Länder Europas zwischen Hoffnungslosigkeit und Hoffnung
Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Bevölkerung der Republik Moldau in den nächsten 50 Jahren um ein Drittel schrumpfen wird. Vor allem junge Menschen wandern aus dem kleinen Land östlich von Rumänien aus. Um Geld zu verdienen, lassen sie ihre Kinder zurück bei den Großeltern. Doch es gibt Menschen, die bleiben – sie sind voller innovativer Ideen und Hoffnung. Eine Multimedia-Reportage – erschienen als «Weitwinkel» im digitalen Spiegel.

Präsidentin der Republik Moldau: Maia Sandu. Foto: Carolin Gißibl